Donnerstag, 22. November 2012

Irre! Lauter Irre!

Ein bisschen seltsam sind wir Journalisten schon. Bedauerlicherweise resultiert daraus nicht immer, dass wir auch komisch sind. Ist aber eigentlich kein Wunder: Wer diesen Job heutzutage ergreift, der muss angesichts der Tatsache, dass schon ein befristeter Vertrag mit Bezahlung fern aller Tarifverträge und Arbeitszeitenregelungen als Jackpot zu betrachten ist, schon irre sein. Wer diesen Job heutzutage bereits länger ausübt, der muss angesichts der Tatsache, dass entgegen seiner Anfänge immer mehr Aufgaben vom Layouten übers Fotografieren bis Gewinnmaximieren im Zuge verlegerischer Sparkurse auf einzelne Redakteure abgewälzt werden, irre werden. Der Jungkollege wird damit groß. Der Altkollege wird davon überrannt. Beide müssen sie Tag für Tag eine Tagesanfang für Tagesanfang schier unendlich scheinende Weite an Zeitungsseite befüllen - wie sinnvoll sie das tun, ist eine Frage kollegialen Stärke. Speziell im Lokaljournalismus ist das schwer, wie hier zu lesen ist. Resultat in jedem Fall, ob jung oder alt: Beide sind sie irre, total!

Die Kollegin scheint schon ein wenig überwältigt von all dem Kram und kompensiert dies wie jeder halbwegs gute Mensch mit viel Lachen, manchmal nur still in sich hinein. Aber sie hat noch Spaß an ihrer Arbeit, obwohl das Zeugs siehe oben ist. Manchmal nennt sie mich Schneewittchen. Warum weiß sie wahrscheinlich selber und damit auch ich nicht. Kürzlich folgte auf diese Bezeichnung auch noch das Mitbringen eines Apfels, den sie mir auf den Schreibtisch packte und guten Appetit wünschte. Ich würde auch nie und niemals nie nicht in den Laderaum eines Transporters steigen, ich habe schließlich "Das Schweigen der Lämmer" gesehen und will nicht in einem Kellerloch landen, in dem ich mich dann mit Lotion einreiben muss. Also schnelle Antwort: "Vielen Dank, aber meine Mama hat mir Märchen vorgelesen, auf die Nummer mit dem Apfel falle ich nicht rein!" Ergo: hysterisches Gekicher ihrerseits, hatten wir beide wieder mal Spaß.

Nun ist - sie hätte den Apfel mal besser selbst gegessen - besagte Kollegin erkältet. Sie niest neuerdings sehr viel. Sie niest. Ich kann das nicht jedes Mal kommentieren, sie gehört eigentlich ins Bett. Doch sie sagt "Danke!" Zwei Minuten später niest sie wieder. Ich sage grad gar nix dazu, weil ich mit dem Kollegen telefoniere und das Wort "Seitenkopf" benutze. Sie sagt dennoch "Danke!" Ernsthaft. Was ist das nur für ein Job, in dem man Dinge hört, die grad gar nicht gesagt werden konnten?

Laut sachdienlichen Hinweisen nämlich könnte auch ich dem Wahnsinn anheim gefallen sein und kompensiere das mit Komik. Ich leide an Tourette. Zynismus-, Sarkasmus- und Ironietourette - das unkontrollierte Ausstoßen amüsant bis humorvoller Sticheleien gegen alles, was sich bei drei noch nicht auf einen Baum gerettet hat. Austeilen und einstecken können halten sich nur leider nicht die Waage. Austeilen geht besser - führt dazu, dass mich manch ein Bürgermeister am liebsten wegstecken und den Schlüssel dann wegschmeißen würde, wie mir jüngst sehr glaubhaft versichert wurde. Die Stimmen in meinem Kopf aber flüstern mir, dass das nicht auf Dauer gut gehen wird. Wenn mir der erste Obstkorb in die Redaktion geschickt wird, schmeiße ich ihn in den Müll! Ernsthaft.


Zusammenfassung für meinen Mann: Ich habe vielleicht Glück, dass bei mir seltsam noch gleichzeitig komisch ist.

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