Sonntag, 5. Mai 2013

Praktikantenmutti

Beim journalistischen Nachwuchs stellt sich nur eine Frage: Muss das denn wirklich sein? 

Es ist ja mittlerweile üblich, dass Schüler im besten Teenageralter (9. oder 10. Klasse, so zirka 15 Jahre alt) ein zweiwöchiges Praktikum zur Berufsfindung machen.* 

Es mag der geringe tatsächliche Altersunterschied zwischen mir und diesen Schülerpraktikanten (in Zahlen: zirka 14 Jahre) und der an meinen gelegentlichen Wesenszügen gemessene noch geringere Alterschunterschied zwischen mir und diesen Schülerpraktikanten sein (in Zahlen: 0 Jahre), der den Chef dazu brachte, mich eines schönen Frühlingstages zur "Praktikantenmutti" zu küren. Seit diesem Tag bin ich die Betreuerin sämtlicher Praktikanten in unserer Redaktion. Es waren zum Glück nicht viele, fünf oder sechs oder auch sieben bislang. Drei aber sind mir überhaupt in Erinnerung geblieben.

Der Junge
Ein Sommer-Praktikant war ein schlacksiger Junge, der mit Pickeln und Zahnspange die volle Breitseite des Teenagerlebens bekam. Er hatte Lust mal in den Beruf zu schnuppern und war nicht zwangsverpflichtet, sondern machte sich selbst noch einmal zum Schülerpraktikanten - das fand zunächst mein Lob. Er bekam trotz nahender Volljährigkeit selten mal ein Wort heraus. Auch dann nicht, wenn man ihn direkt ansprach. Wenn aber, so erkannte man deutlich, dass er lesen und schreiben kann und im Unterricht und sogar bei der Tagesschau mal zuhört, gelegentlich auch Zeitung liest. Nur journalistisch schreiben, das war seine Sache nicht - das musste ich ihm dann auch sagen, weil ich Wahrheit ja mag. Dafür beherrschte der Junge die Kunst, mich ziemlich alt aussehen zu lassen, weil ich den Großteil seiner kleinen Zettelbotschaften mit diversen wahrscheinlich in Chatrooms umtriebigen Kürzeln überhaupt nicht verstand. Erst beim ersten Herz hatte ich ungefähr verstanden, wo der Hase lang hoppelte. Da waren die zwei Wochen zum Glück aber auch schon wieder vorbei.

Das Model
Eine Schülerpraktikantin im klassischen Sinne. Sie kam, weil es eben so im Lehrplan stand. Sie war also nicht wirklich freiwillig da (der Junge ja irgendwie schon). Und sie sagte bei unserem Kennenlernen den schönen Satz "Ich möchte was mit Medien machen". Mein Grinsen und ein "Ah, das wollen viele..." als einzige Reaktion auf diesen Satz verstand sie nicht. Ich musste leider schnell erkennen, dass es bei ihr mit diversen Grundfertigkeiten nicht zum Besten stand. Was auch immer ich ihr als Aufgabe übertrug, es endete in einem Durcheinander aus PC-Abstürzen, unzähligen Rechtschreib- und Grammatikfehlern. Und schmerzhaften Offenbarungseiden. Nein, lesen würde sie eigentlich nicht gerne und Zeitung schon mal gar nicht. Nein, nicht mal Zeitschriften würde sie lesen. Da schaue sie immer nur die Bilder an. Und im Fernsehen schaue sie eigentlich nur RTLII. ARD? Nee, das sage ihr jetzt nicht direkt was. Dann fiel ihr ein, dass da "Sturm der Liebe" läuft.

Ich ließ sie mal eine Meldung zu einem dieser ewiglokalen Blutspendetermine des DRK schreiben (alle Infos auf einem Blatt: wann, wo, wer, blabla) - in ihrer Version hätte der Leser aber leider nie erfahren, wann und wo er sein Blut spenden kann. Dafür hätte er gesehen, dass "Bluth" wichtig ist für einen "menchen". Dafür aber trug sie selbstbewusst vor, der Leser wisse ja nun immerhin, dass es eine Blutspende gibt - ja, irgendwann. Mein bissiges "Dann geht der Leser also jeden Tag irgendwann irgendwo hin und hofft mit in den Bauch gestandenen Beinen, dass mal einer mit einer Kanüle kommt, ja?!" verstand sie wohl nicht. Ich erklärte ihr, wie so eine Meldung sein muss und versuchte es erneut. Das Ergebnis blieb wie beim ersten Mal. Ich gab wenig später total auf. Denn eines Tages musste ich erleben, dass sie mich vollkommen ernst fragte, wer eigentlich Angela Merkel ist. Ich musste leider auch mit ansehen, dass sie den schwarz gewordenen PC-Bildschirm als Spiegel zum Schminken benutzte. Am letzten Tag setzte ich mich mit ihr an einen Tisch und sagte ihr, dass der Beruf absolut nichts für sie ist. Ich fing sanft an (wollte nicht, dass sie heult) und wurde doch strenger, weil sie mal wieder nicht den leisesten Anschein des Verstehens machte:
"In diesem Job musst du schreiben können - möglichst korrekt und möglichst fesselnd. Du kannst in drei Sätzen nicht 20 Fehler machen oder darauf pfeiffen, ob der Inhalt überhaupt stimmt und die Merkel nun in der CDU oder der FDP oder der NPD ist. In diesem Job musst du clever sein und ein großes Wissen mitbringen. Du brauchst Allgemeinwissen! Aber das gilt eigentlich für jeden Beruf und fürs Leben! Du weißt höchstens über Heidi Klum was. Oder über Mascara. Aber wenn du echt erst googeln musst, was die SPD ist, bist du definitiv total ungeeignet als Journalistin! Lass es bitte!" 
Ihre Antwort: "Ich wollte eh Model werden!"

(Das tat mir alles in diesen zwei Wochen so weh, ich könnte jetzt noch flennen oder mir einen Duden auf den Kopf hauen, damit ich mich und mein Hirn wieder spüre).

Die Hoffnung
Seit Donnerstag bin ich wieder Praktikantenmutti. Das Mädel hat mir zunächst gesagt, dass sie sich vor einem Jahr beworben hatte und nun eigentlich nicht mehr Journalistin werden wolle, weil die Jobaussichten ja schlecht seien - das habe sie in den vergangenen Monaten ja immer wieder gelesen und gesehen. Auf meine Frage, wo sie das denn bitte gelesen habe, führte sie unter anderem Spiegel Online an. Sie habe nun aber auch nicht mehr absagen, sondern ihre Pflicht tun wollen - mein Herz ging auf. Ich fragte möglichst sachlich, ob sie sonst vielleicht irgendwas mit Medien machen wolle und sie musste feixen. Ich bat sie eine Liste mit Themen anzufertigen, die sie gerne mal umsetzen würde. Sie schlug unter anderem vor, sich doch mal "kritisch" mit den Busfahrplänen unserer ländlichen Region zu befassen, da Schüler vom Dorf spätestens ab 18 Uhr weder in die Stadt noch aus ihr heraus kämen und daher Freizeitgestaltung quasi nur mit Rumlungern zu wuppen sei. Und überhaupt könnten mal mehr jugendliche Themen in die Zeitung - ich bin ohne je einen Strich von ihr gelesen zu haben schon jetzt schlicht ein wenig Feuer und Flamme. Ich glaube, dass es dieses Mal ein gutes Ende nehmen könnte ...jedenfalls bin ich guter Dinge, dass ihr Angela Merkel ein Begriff ist!

*Also ich war mal Schülerpraktikantin bei einem Anzeigenblättchen - die Arbeitsproben von damals habe ich inzwischen "verloren", was mich natürlich immens traurig stimmt ... genauso traurig stimmt es mich, dass ich mal eine geschenkte Vase mit rosa Blüten fallen gelassen habe und einen gelben ebenfalls geschenkten Schal versehentlich der Altkleidersammlung zuordnete ... uuuuuuuuuuuuuuuuups

Zusammenfassung für meinen Mann: Wir haben ja vielleicht alle mal angefangen - trotzdem sind Praktikanten in erster Linie eine Nervenprobe.

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