Samstag, 26. Oktober 2013

Bratwurstjournalismus? Schuldig im Sinne der Anklage!

... oder warum Lokaljournalisten langfristig zunehmen müssen

 

Lokaljournalismus wird oft der Vorwurf gemacht, vor allem Bratwurstjournalismus zu sein. Wirklich hübsche Beispiele für Bratwurstjournalismus finden sich hier

Ich, übrigens auch schon des Bratwurstierens schuldig geworden, definiere Bratwurstjournalismus selbstentschuldigend - und rechtfertige mich damit vor mir selbst, weil ich mich immer für mein(e) Vergehen schäme. Nach meiner Definition gilt:

Bratwurstangebot = Bratwurstjournalismus

Es sind nämlich gerade jene Veranstaltungen im Lokalen, wo es Bratwurst gibt, die uns in die Falle des Bratwurstjournalismus tappen lassen. Das Produkt Bratwurst lässt sich in diesem Gleichnis mühelos gegen jede andere Art Futter tauschen. Dorffeste, Feuerwehrfeste, Seniorenfeiern, Vereinsfeste. Außer Fressen, Saufen, Blasmusik ist bei solchen Gelegenheiten oft nicht viel los. Aber kaum eine Lokalpostille kann es sich leisten, solche Feste zu ignorieren. Die Leute nehmen das übel. Also muss man da leider hin. Daher ist auch schreibend nicht mehr viel mehr daraus zu machen als Programmablauf und Menüabfolge, das muss ich leider zugeben. Da muss man schon nach der kritischen Nadel im Heuhaufen der Gefälligkeit suchen, um mehr daraus zu machen. 

Meistens bekommt man als Journalist sogar noch eine Wurst, Kuchen oder sonstiges spendiert. Kombiniert mit dem Schreibtischjob, der Journalismus oft ist, erklärt sich das Format vieler meiner Kollegen. Und ich glaube inzwischen, dass einem mit solch Bratwürsten das Maul gestopft werden soll...

Erst heute war ich wieder bei so einem Termin. Seniorennachmittag. Der Bratwurstjournalist in mir verlangt es "traditioneller Seniorennachmittag" zu nennen. Eine Hundertschaft Senioren sitzt in einem Saal. Ein Mensch aus dem Rathaus überbringt die Grußworte des Bürgermeisters - irgendwas mit Wetter, gute Unterhaltung, lecker Kuchen usw ...  ich habe es schon wieder vergessen, Grußworte sind ja auch alle gleich.

Dann: Blasmusik, Blasmusik, Blasmusik ... rum-ta-dah-rumta-dah ... es pustet einem das Hirn weg. Dann Kaffee und Kuchen für alle. Kuchen wird gegessen, Kaffee in Ermangelung echter Milch mit fetter Kondensmilch auf meinen Geschmack getrimmt. Blasmusik, Blasmusik, Blasmusik... rum-ta-dah-rumta-dah ... 

Eine Tanzgruppe tritt auf. Line Dance ausgerechnet. Das ist im Lokalen ungefähr so inflationär wie Kosmetikproben in Frauenzeitschriften - du ahnst nichts Schlimmes und plötzlich hast du die nächste Wundercreme in Händen oder ein Parfum, das ja doch nur irgendwie nach WC-Raumspray riecht. Doch bewundernswert finden leider viele Menschen Line Dance. Die Frau aus dem Rathaus sagt jedenfalls, die Gruppe muss ich mir "unbedingt" ansehen und ich denke, dass ich mich unbedingt sofort übergeben muss, wenn ich mir wirklich noch eine Line Dance-Gruppe ansehen muss - das würde zumindest das Gewichtsproblem lösen, Bratwurstbulimie quasi. Es geht weiter mit Kaffee, Kaffee, Kaffee ... Blasmusik, Blasmusik, Blasmusik 

Die Blasmusik mit Mühe übertönend und dicht an das von Hörgerät gezierte Ohr eines alten Mannes gelehnt, versucht man dann noch den Programmablauf mit ein wenig Zitat zu schmücken. Wobei der Mann natürlich auch alles "prima" findet und es ihm "einfach gefällt" beim "traditionellen Seniorennachmittag". 

Wie auch immer man also die Bratwurst dreht und wendet, hier ist außer der an Körperverletzung grenzenden Lautstärke der Blasmusik nicht viel an Kritik rauszuholen. Und nicht einmal die Lautstärke könnte man in der Zeitung kritisch bewerten, sie ist ja nur an die Hörgerätehundertschaft angepasst. Also noch ein paar Kekse vom unter die Nase gehaltenen Teller genascht und man verlässt mit einem Pfeifen im Ohr die Hundertschaft wieder. In der traurigen Gewissheit, dass man hier nicht viel mehr als Bratwurstjournalismus hinbekommen wird. Das ist vorsätzlicher Bratwurstjournalismus. Da kriegt man auch gleich wieder Lust auf Frustfressen!

2 Kommentare:

zeitungsdieb.blogger.de hat gesagt…

Bald beginnt ja auch wieder die Weihnachtsfeiersaison ... aber vorher muss mal als Lokalschreiber noch die fünfte Jahreszeit überleben, so mit "TäTäää, TäTäää, TäTäää" ... dagegen ist Bratwurst doch harmlos.
Durchhalten, Kollegin! Und es gibt ja auch stretch-Jeans *duck*

Jacobswege hat gesagt…

Werter Kollege, die nahende fünfte Jahreszeit hatte ich bis zu Ihrem Hinweis noch erfolgreich verdrängt. Verdammt noch eins! Da ich gelegentlich (!) ja auch Frauenzeitschriften konsumiere, fände ich bestimmt eine Diät - sollte es überhaupt so dicke für mich kommen.