Donnerstag, 9. Oktober 2014

Weltveränderer

25 Jahre ist es heute her, dass die Montagsdemos den Stein der Wiedervereinigung endgültig ins Rollen brachten. Ich betone: endgültig. Denn zuvor hatten es - unter anderem!!! - schon jene getan, die die DDR verließen, die Flucht wagten und/oder in der Prager Botschaft Genschers berühmten Halbsatz hörten. Aber auch jene, die in diesem Land blieben und es verändern wollten, auf die Straße gingen. Unvergessene und unvergessliche Momente der Geschichte. Noch dazu gut dokumentiert durch Medien und ihre Chronistenpflicht. Journalisten waren dabei als Weltgeschichte geschrieben wurde und haben es aufgeschrieben, gefilmt, aufgezeichnet ... wer mag, der kann sich heute im Internet einen Gänsehautmoment nach dem anderen ersurfen ...

Als die Mauer fiel, war ich fünf Jahre alt. Ich kann mich an diese Zeit gut erinnern ... Die Stimmung daheim war angespannt ... Niemand konnte bis zum 9. November wirklich wissen, dass dies die Friedliche Revolution wird und das alles gut ausgeht. Vielleicht waren meine Eltern, meine Mutter war gerade mit meinem kleinen und dritten Bruder schwanger, deshalb manchmal so nervös in diesen Tagen. Und der Fernseher ständig auf Empfang? Das gab es bei uns zu Hause im Gegensatz zu vielen anderen Familien nicht. Ich kann mich nur an zwei Ereignisse erinnern, an denen das anders war. Den 11. September 2001. Und den Herbst 1989. Einen Herbst, in dem ich mich als kleines Mädchen vor allem darauf freute, bald zur Schule gehen und lesen, schreiben, rechnen lernen zu können. Das um mich herum gerade Geschichte geschrieben wurde, konnte ich ja nicht wissen ...

25 Jahre später weiß ich: Auch Leute wie ich es heute bin, haben dazu beigetragen, dass die Mauer fiel. Weil wir Journalisten dabei waren und diese Weltgeschichte dokumentiert haben. Und wir Journalisten haben die Entwicklung noch vorangetrieben, waren daran mehr oder weniger aktiv selbst beteiligt. Allen voran Riccardo Ehrman. Ein Name, den man kennen sollte. Ehrman ist Journalist. Der Italiener im Dienste einer Presseagentur war es, der vor 25 Jahren Günter Schabowski zu der Aussage gebracht hat, die DDR-Bürger könnten sofort ausreisen. Es war eigentlich eine ganz normale DDR-Pressekonferenz, die so fast eine Stunde dahin plätscherte. Floskeln. Erst wollte er nicht, dann ließ Schabowski doch Fragen zur Flüchtlingswelle zu. Ehrman fragte konkreter nach dem Reisegesetz: "War der Reisegesetzentwurf vor ein paar Tagen nicht ein Fehler?" Die anderen Journalisten hakten nach, stellten mehr und mehr Fragen. Schabowski zog dann seinen Zettel - zum Glück ohne Sperrfristvermerk darüber, dass diese neue Regelung erst noch beschlossen und einen Tag später verkündet werden sollte. Und auf diesem Zettel stand, Privatreisen ins Ausland könnten beantragt werden. Die Genehmigungen würden "kurzfristig erteilt". Man könne über alle Grenzübergangsstellen ausreisen. Ehrmann stellte noch als erster der Anwesenden nur eine Frage. Und es war eine gute Frage! Er fragte einfach, ab wann das gelte? Und Schabowski stammelte: "Nach meiner Kenntnis [...] sofort, unverzüglich." Der Rest ist bekannt: Tausende fuhren an die Grenze und machten von diesem Recht Gebrauch - die Mauer fiel ...

Ehrmann übrigens erklärte später in so manchem Interview zu seiner Rolle als großer Geschichtsschreiber schlicht: "Ich habe nur meine Arbeit gemacht." Eine gute Arbeit! Manchmal kann ein guter Journalist eben die Welt verändern oder zumindest dazu beitragen, dass sich selbst Dinge, die lange als so unumstößlich wie eine Mauer galten, ändern:


Und Schabowski - übrigens wohl selbst mal studierter Journalist - hat eigentlich auch nur seinen Job gemacht, nicht gut für das Regime, aber gut für uns alle:


Wie der Tag für Ehrman lief, lest Ihr unter anderem auch hier: Die Frage der Fragen. Und mancher glaubt, das alles war geplant: Ehrman, Schabowski und die Folgen.

Und weil es so schön ist, der schönste Halbsatz 1989:

Sonntag, 5. Oktober 2014

Schublade

Ich erweitere gerade meinen Horizont und sammle Erfahrungen, wie ich künftig Menschen noch leichter in meinen Schubladen verstauen kann. Der geneigte Leser erinnert sich vielleicht, dass ich gerade mal nicht hauptamtlich Tageszeitungsjournalist bin. Ich übernehme als Elternzeitvertretung den Dienst bei einem Anzeigenblatt - wieso, weshalb, warum steht hier. Man könnte also beim Blick auf meinen Lebenslauf sagen, dass ich nun bis auf TV wirklich alles schon gemacht habe, was so Journalismus genannt wird.

Und ich stelle nach diversen Stationen fest: Ganz egal, ob nun Journalist bei einer Tageszeitung, bei einem Anzeigenblatt oder einem Rundfunksender - der Journalist ist hier wie dort ein ganz bestimmter Typ Mensch. Auch an meinen neuen und leider - ich hab sie schon gern wegen der Wellenlänge und so - nur zeitweisen Kollegen fällt auf: Der Journalist an sich ist vom Wesen her zunächst erstmal eher mufflig und nicht leicht zu begeistern. Im besten Sinne. Journalisten sind ja nun einmal Leute, die grundsätzlich die Dinge hinterfragen soll(t)en und schon (zu) viel gesehen und erlebt haben. Wer die Wahrheit finden will, muss die Lüge erkennen. Der Journalist wittert überall kleine und große Lügen. Das hinterlässt Spuren. Also wird alles mit einem Spruch garniert, der mindestens ironisch und in der Regel sarkastisch bis zynisch ist - das soll unseren Abstand zu einer Sache und Objektivität belegen. Wobei natürlich Muffligkeit aus Prinzip schon wieder sehr subjektiv ist. Das ewig gut gelaunte Dasein, wie es ja oft mit einer gewissen Naivität einhergeht, und die schnelle Begeisterung, die noch dazu mit Worten wie "prima" ausgedrückt wird, ist dem echten Journalisten eigentlich fremd. Wobei ... ich kenne sogar eine "Journalistin", die zeichnet sich durch genau solch eine ewig gute Laune aus... 

Und es fällt auf: Journalisten haben tatsächlich einen bestimmten Look. Zumindest die "älteren" Journalisten, die mindestens 1984 auf die Welt kamen - ich beschrieb es hier bereits. Auch meine neuen Kolleginnen schätzen Umhängetaschen mehr als alles andere, sammeln Kugelschreiber darin, halten 3,2 cm bereits für einen Absatz am Schuh und kommen mit Jeans statt Kleidchen bestens durchs Leben. Alles andere, was im weitesten Sinne bei einer Zeitung, einem Anzeigenblatt oder einem Rundfunksender arbeitet - vom Azubi über den Kaufmann oder Berater bis zur Sekretärin - sieht irgendwie ganz anders aus. Ich meine, dass ich auf jedem Zeitungs-, Anzeigenblatt- oder Rundfunksenderflur erkennen würde, wer dort als Redakteur arbeitet und wer was anderes ist. Wegen der Schublade...

Andere haben nämlich auch einen unnachahmlichen Look. Jenen, dem man gerne den Stempel "gepflegt" aufdrückt. Wobei ein Mensch, der nicht danach aussieht als würde er seine Abende in einem Wohnzimmer verbringen, das aussieht als wäre es direkt der Ausstellungsfläche eines Möbelhauses im mittleren Preissegment entsprungen, ja nicht gleich ungepflegt ist – sondern nur andere Hobbys pflegt als RTL schauen und an besonders prickelnden Abenden dazu mal noch einen Sekt zu trinken. Man ist ja auch nicht gleich ungepflegt, wenn man eine Frisur hat, die morgens nicht zwangsweise geföhnt oder mit an künstlerischer Begabung grenzender Geschicklichkeit gesteckt werden muss. Nägel aus Kunststoff allein machen ja auch noch keinen echten Menschen. Make-up, das aussieht als wolle man gleich in die Oper oder in einer mitspielen, lässt einen ja nicht das Gesicht wahren. Rückgrat bekommt man nicht durch Schulterpolster. Man muss keine Duftwolke aus Haarspray und Parfum nach sich ziehen, um seine Marken zu setzen. Und bloß weil man beim Gehen kein klackerndes Geräusch macht, heißt das, dass man auf der Stelle tritt.

Wer so aussieht, kann kein Journalist sein ...da würde ja die Schublade sperren ...