Sonntag, 20. September 2015

Schade, schon wieder aus und vorbei

Schade eigentlich... Oft hören bei mir die Dinge auf, bevor sie richtig angefangen haben. Diesmal traf es meine Freizeitgestaltung. Ich befand mich - hervorgerufen ausgerechnet durch Sat1 - gerade auf dem Weg zum Serienjunkie. Und das will was heißen!

Immer wenn ich zum Zahlen von Rundfunkgebühren aufgefordert werde, bocke ich zunächst mit Worten "Wieso ich? Ich guck doch gar nicht!" Beim Überweisen fällt mir wieder ein, dass ich den Tatort und die Tagesschau in der Mediathek schaue, Sendungen mit Carolin Kebekus und/oder Katrin Bauerfeind dort abrufe oder auf thematische Empfehlungen meiner Freunde, die eine Sendung sahen und sie lobpreisen, ebenfalls öffentlich-rechtliche Angebote im Internet konsumiere. Immerhin ein bisschen TV schaue ich also.

Kürzlich hörte ich, dass Sat1 mit "Mila" täglich eine Serie um eine junge Journalistin (Beziehungsstatus: Single) in Berlin zeigt. Pflichtprogramm. Ich wollte was zum Lästern für diesen kleinen Blog hier, mich ereifern über die unrealistische Darstellung und mich in Rage schreiben über einen komplett sinnfreien Plot, klischeehafte Berlin- beziehungsweise Berliner-Darstellung und die falsche Interpretation des Journalismus.*

Die Serie lief (das Präteritum ist wichtig) seit 7. September. Ich stieg am 14. September via Mediatheken-Konsultation ein und holte zudem die Vorwoche nach. Als ich schon an der Stimme sofort erkannte, dass die von mir sehr geschätzte Leslie Clio die Titelmelodie trällert, wollte ich der zunächst Hergeben für eine Scheißsoap auf Sat1, wo er nur Mist gesendet wird, vorwerfen und sofort ausmachen. Aber man wird ja ruhiger im Alter. Ich gab der Romantic Comedy-Serie also eine Chance. Doch vergebens. Die Serie wurde am 18. September schon wieder wegen schlechter Quoten abgesetzt, es wird nicht mehr gedreht, das Produzierte bei sixx versendet. Ich finde das bedauerlich.

... zumindest ich erfreute mich zusehends an Sätzen wie "Du knuffiger, kleiner Freiberufler..." oder "Du bist stolze Besitzerin einer zauberhaften Vagina...", ja sogar Anspielungen auf "Harry&Sally" ("Ich will das, was sie hatte"). Diese Mila sitzt wie Carrie Bradshaw in ihren besten Zeiten am Laptop auf ihrem kleinen Schreibtisch und lässt uns Zuschauer mit ihrer Gedankenstimme Teil haben an der Kolumne, die eben ihr Leben ist. Übrigens auf (selbst)ironische und witzige Art und Weise, einfach gut gemachte Unterhaltung.

Die mit Anfang 30 nicht mehr ganz taufrische junge Heldin (verdammt, so ist es nun mal) Mila schlägt sich als freiberufliche Journalistin durchs Leben. Sie bekommt 18 Cent pro Zeile für App-Kritiken auf einer Online-Frauenmagazin-Plattform. Zeilensätze um die 20 Cent - da hat jemand seine Hausaufgaben gemacht, das ist realistisch! Mila sieht ziemlich normal aus, nicht wie frisch von einem Werbeplakat gesprungen. Erste Fältchen, die Haare nicht "bad hair day" und auch nicht "Drei Wetter Taft-Spot", die Figur ganz normal (mehr Hintern als Brust) und nicht Topmodel. Mila ist Single. Als ihr ihre kleine Schwester offenbart, dass sie in 287 einen Schwiegermutterliebling heiraten wird, der ungefähr so sexy ist wie Frauenzeitschriften investigativ, fragt Mila "Willst du nicht erstmal ...leben?!?!" Und nimmt sich doch vor, innerhalb dieser 287 Tage bis zur Hochzeit ihrer Schwester ebenfalls ihren "Mr. Right" zu finden - was so viel heißt wie "Mitten rein ins Leben!". 

Die Suche nach Mr. Right oder etwas Vergleichbarem, das treibt unzählige Serien, Filme und Bücher an. Mila will einen Mann. Keinen Versorger, einfach nur einen Mann an ihrer Seite. Genau darum wirft man der Serie nun auf Spiegel Online unter anderem Sexismus vor - lest hier

Herrgott, als ob es ein Verrat am Feminismus wäre, sich dem Verlieben zumindest nicht zu verschließen und Partnerschaft grundsätzlich nicht falsch zu finden ... Außerdem braucht eine Serie ja eine Handlungsmotivation ... warum nicht die, innerhalb einer bestimmten Frist so etwas wie Liebe erreichen zu wollen oder zumindest mit diversen Männern diversen Kontakt zu haben? Und verflucht noch eins, das ist unterhaltsam. Die Suche nach etwas und die Entwicklung eines Menschen ist doch mehr Serienstoff als der Alltag des Otto Normal. Sagt ja keiner, dass es der jungen Heldin bis zuletzt um "Mr. Right" oder vielleicht doch einfach nur um ihren Weg geht. Und von "Mann, Kinder, Job aufgeben" war doch auch gar nicht die Rede. Mit Sicherheit wäre es amüsant geworden - und das sollte eine Vorabendserie vor allem sein -, dem Ganzen und damit auch der Sache mit den Kerlen mehr als 10 Folgen Chance zu geben. 

Was gibt es da nicht alles zu thematisieren ...

Schleimer, die sich Hoffnungen machen und ernsthaft Gespräche mit "Du hast so schöne Augen" anfangen. Hoffnungsvolle Kandidaten, die lieber wieder zur Ex kriechen - tatsächlich lässt eins ihrer Dates Mila sitzen, um Sex mit seiner Ex zu haben. Und dann noch massig Sprüche mitten aus dem Journalistinnensingleleben wie "Ich hatte noch nie eine Frau, die intelligenter ist als ich, das wird nichts mit uns", "Ich kann keine Frau haben, die so selbstständig ist" oder - immer wieder gern - "Du bist halt selbstbewusst" als sage man(n) "Du hast halt nen Buckel".

Oder die zwischen den Zeilen mitschwingende Aussicht, dass die nicht mehr ganz so junge Heldin Mila zeitweise was mit einem Kollegen - in dem Fall dem Redaktionsfotografen - anfangen könnte. So einer steht ja auch fix mal unterm Fenster und singt dir was vor. Der fällt beim Blumenpflücken in die Rosen und man muss ihn vor dem Arschtritt noch verarzten. So einer fragt, ob man mit ihm "schöne und intelligente" Kinder in die Welt setzen möchte und kann nicht lachen, wenn frau sagt, dass sie dafür ja nur die eigenen Gene und nicht seine braucht. 

Schade eigentlich, dass Mila all das nie erleben darf ... vielleicht ist genau das Sexismus, dass sich journalistisch tätige Serienheldinnen nun nicht mal mehr selbstreflektierend und selbstironisch durchs Singleleben in all seinen Facetten toben beziehungsweise davon berichten dürfen ...

* Doch manchmal steckt doch ein wenig Wahrheit in Journalisten-Serien - siehe da.

Samstag, 12. September 2015

Sie können mich auch mal gegenlesen!

Wann immer Menschen mit Menschen (beruflichen) Kontakt haben, bleiben formschöne Dialoge nicht aus. Da kann man vermutlich Brötchen oder eben Zeitungen machen, nur will Brötchen keiner vor dem Backen nochmal sehen:

Ich war auf einer Baustelle eines örtlichen Versorgungsunternehmens:

Er: "Den Text schicken Sie uns dann vorher zu."
Ich: "Wieso?"
Er: "Nicht, dass sich Fehler bei den Zahlen einschleichen."
Ich: "Dann gehen wir die jetzt noch einmal durch, ich wiederhole ... ... ... ..."
Er: "Ja, schon richtig alles, aber Herr X schickt uns das trotzdem vorher immer zu."
Ich: "Naja, jetzt ist eben ein neuer Sherif in der Stadt!"
Er: (lacht) "Okay."

Ich hatte ein Gespräch mit einem örtlichen Unternehmer, der sich eventuell durch meine Anfragen gegängelt fühlt(e). Bis dato hatten wir nur telefonischen oder schriftlichen Kontakt.

Er: "Also ich hatte Sie mir anders vorgestellt!"
Ich: "Wie denn?"
Er: "Irgendwie langweilig, älter, zickig und schnippisch, aber nicht so ... ähm, charismatisch."
Ich: "Keine Sorge, was Sie zickig und schnippisch nennen, mach ich trotzdem - ich seh halt nur besser aus dabei." 
Er: "Kann ich dann den Text vorher trotzdem nochmal lesen?"
Ich: "Nö."
Er: "Ich sag doch zickig"

Ich kam der Forderung nach Gegenlesen eines Artikels mal wieder nicht nach. Mein Gegenüber meinte, ich sei rechtlich dazu verpflichtet. Ich weiß, dass dem nicht so ist und lehnte mit Begründung ab. 

Er: "Sie sind aber ganz schön zickig!"
Ich: "Ich würde es ja eher informiert nennen."
Er: "Mit Ihnen möchte ich aber auch nicht verheiratet sein!"
Ich: "Ich mit Ihnen auch nicht!"

Mittwoch, 9. September 2015

Abschließen

Du kannst als Journalist den Aufmacher auf der Straße finden. Du kannst als Journalist deine Ideen verwirklichen. Du kannst als Journalist Ideen von anderen zugeschustert bekommen und sie umsetzen. Vielleicht passiert gerade alles zusammen. Und wird vielleicht (alles) gut.

Die Geschichte, die ich nach wie vor als die wichtigste meiner Laufbahn bezeichne, ist die über einen schwer verunglückten Feuerwehrmann. Wollte ich hier dokumentarisch aufschreiben, was ihm und anderen Kameraden geschehen ist, müsste ich eine Erläuterung finden, die genau 2,6 Sekunden Lesezeit beansprucht... 

Machen wir es ähnlich kurz: Auf dem Weg zum Hochwasser-Einsatz im Juni vor zwei Jahren ist in 2,6 Sekunden ein Fahrzeug der Feuerwehr von der Straße abgekommen und in ein Haus gekracht. Neun Kameraden wurden bei dem Unfall verletzt. Einer so schwer, dass dieser Tag im Juni sein letzter hätte sein können... doch er hat überlebt und im Herbst vor zwei Jahren habe ich ihn kennen gelernt, über ihn geschrieben und dabei weit mehr als meinen Job gemacht. 

Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Einer auf der Basis, in der ich ungestraft sagen kann "Mal ein Haus im Bauch gehabt zu haben, ist nix gegen Menstruationsbeschwerden, du Arschgeige!" und noch eine Menge anderen Unsinn. Und: Der Kerl hat mich schon bei unserem ersten längeren Gespräch zum Weinen gebracht. Mein kleiner Bruder zählt mit, wie oft ich im Leben geweint habe - es sind sehr geringe Werte... Warum es also im November 2013 diesen XL-Gefühlsausbruch meinerseits gab, das steht andeutungsweise hier...

Was da nicht steht: An diesem Unfalltag im Juni ging die Sirene, wollte ich die Leitstelle um Infos bitten und rausfahren zu dem, was auch immer da geschah - aber ich wurde daran gehindert, meinen Anruf hat es nie gegeben. Später erst also erfuhr ich, was passiert war. Aber da passierte mir nach der Sirene längst, was passieren musste: An diesem Tag begriff ich nach langem Kampf, dass ich in meinem alten Leben nicht mehr sein kann. Mann, Kind(er), Haus. Normales Leben. Das war der Plan. Der anderer. Nicht (mehr) meiner. Ich konnte nicht so sein, wie andere mich haben wollten. So wie ich bin, war ich nicht gewollt. Ich habe mich umgedreht und bin endgültig aus diesem Leben verschwunden. Meine Flucht, vielleicht auch vor dem "normalen Ich" und dem "wie jede andere", das ich mir bis dahin selbst vorgaukelte sein zu müssen, endete bei Freunden. Die veranstalteten einen Flohmarkt, dessen Einnahmen den Hochwasseropfern in der Kommune gespendet werden sollten, in die die Feuerwehr eigentlich unterwegs war. Ich kaufte für eine Unsumme eine Sonnenblende mit der Aufschrift "Normale Leute machen mir Angst". Ich brachte sie in der Heckscheibe meines kleinen roten Flitzers an und dort hängt sie noch heute, und noch immer ist es viel zu oft wahr.

Im November 2013 wurde meine erste Geschichte über den Feuerwehrmann in der Lokalzeitung veröffentlicht. Eine große, bewegende, gut geschriebene Geschichte. Aber eine, die die Verletzungen des Mannes zwar oberflächlich und doch gerade noch detailliert genug beschrieb, um nur einen Schluss zuzulassen: "Der kommt nicht mehr in sein altes Leben zurück." ...
Als der Unfall ein Jahr her war, wurde eine noch größere Story von mir über das Unglück und weitere Betroffene im Feuerwehr-Magazin veröffentlicht.


In wenigen Wochen wird in der Zeitschrift ein weiterer Artikel von mir erscheinen, der sich mit dem Ersatzfahrzeug beschäftigt, das die Wehr im Frühjahr offiziell in Dienst stellen konnte. Nur wer mich schon immer für kalt hielt und noch dazu keinerlei Ahnung von den Zeilenhonoraren im Printjounalismus hat, würde mir ernstlich vorwerfen, ich wolle Kapital aus dieser Sache schlagen. Das Honorar des Magazins habe ich unter anderem in Form von Bier mit Kameraden geteilt. Und auch mit dem kommenden Honorar werde ich so verfahren. Mehrfach musste ich den Artikel ändern, an einer Stelle freue ich mich darüber ...

Schrieb ich in der ersten Version noch, dass der beim Unfall Schwerstverletzte noch immer weder zurück im Arbeitsleben noch zurück im aktiven Dienst der Feuerwehr ist, wurde jetzt innerhalb weniger Wochen alles anders. Immer und immer wieder sage ich "Alles wird gut." Immer und immer wieder habe ich das auch dem Feuerwehrmann gesagt. Ich bin eine sehr rechthaberische Person... 
"Ich hoffe sehr, dass ich den Feuerwehrmann eines Tages zufällig beim Bäcker oder im Supermarkt treffe und er mir auf den Kopf zu sagen kann, dass er wieder ganz er selbst und mit sich und seiner Geschichte im Reinen ist. Ich wünsche mir, dass er im besten Sinne ab sofort ein Leben ohne besondere Vorkommnisse führen wird. Ein ganz normales Leben!"
, schrieb ich im November 2013 im besagten XL-Post. Wir treffen uns selten zufällig. Wir verabreden uns oft. Sein Leben ist normal. Frau, Kinder, Haus. Besondere Vorkommnisse aber wird es immer geben: Im August hatte er seinen ersten Einsatz, er ist wieder ein "echter" Feuerwehrmann. Und "normal" sind die alle nicht, da muss ich keine Angst haben. Seinen ersten Einsatz habe ich verpasst. Ich feierte gerade den 60. Geburtstag meiner Mutter. Aber hey, 14 Stunden Wehen wegen mir gehen auch vor Haus im Bauch! 

Der Feuerwehrmann steht zudem wieder im Berufsleben. Sein neuer Chef hatte die Idee, genau darüber müsse man doch mal schreiben. Vermutlich wittert er gute PR dahinter und eigentlich mag ich sowas nicht. Der Feuerwehrmann hatte dem neuen Chef bereits das Einverständnis gegeben, sofern eine bestimmte Journalistin - ich - den Text schreibt. Als ich den Chef anrief und er sagte: "Ich habe damals diese große Geschichte gelesen über ihn und die hat mich so berührt, aber nie wurde aufgeklärt, was aus ihm geworden ist", gab ich mich endgültig geschlagen und sagte ein Pressegespräch zu dem Thema zu.  

Es schnurrt alles zusammen ... Nur ein paar Tage zuvor war ich - mal wieder, auch so eine Sache seit dem Juni 2013 - mit der Feuerwehr unterwegs. Gemütliches Beisammensein am Lagerfeuer. Ich wurde Ohrenzeuge als zwei andere Kameraden ihm das erste Mal erzählten, wie sie ihn damals aus dem Unfallfahrzeug retteten, was sie alles tun mussten, um ihn zu befreien. Als sie davon sprachen, wie es für sie als Nicht-Unfallopfer war plötzlich vor dem Wrack eines Feuerwehrautos zu stehen und einen Kameraden zu retten, begriff ich, dass ich in all meinen Geschichten eine wichtige Sache stets ausgelassen hatte - die Perspektive dieser Männer. In meinem Kopf zitierte ich mich selbst aus meinem ersten Manuskript für das Feuerwehr-Magazin ... "Dieser 8. Juni ist ihnen allen passiert." ... vielleicht auch mir ... Als die Männer am Lagerfeuer weich wurden, hatte ich längst die erste Träne verdrückt ... 

Ich werde in der Lokalzeitung noch einmal über den Unfall schreiben. Aus der Sicht vieler dieser Kameraden und mit ihrer Hilfe. Die Story muss abgeschlossen werden. Die Geschichte - seine, meine, unsere - geht weiter. Nur mein Rumgeheule, das muss wirklich mal ein Ende haben.